Natürlich benötigt man für dieses Gericht kein Rezept, es sei denn, man ist mit der Zubereitung von Spiegeleiern überfordert, denn die Komposition aus Schwarzbrot, Butter, Krabben und eben Ei ist so selbsterklärend wie die Herstellung eines Fischbrötchens.
Es ist viel mehr die kleine Geschichte, die hinter diesem kulinarischen Klassiker steht. Als ich noch ein kleiner Junge war, bin ich im Sommer mit meinen Eltern, sofern wir mal nicht in Dänemark waren, des Öfteren nach Sylt gefahren. Das war damals Anfang der siebziger Jahre noch ganz weit weg davon, hip oder trendy zu sein. Wir wohnten immer in List, also an der nördlichen Spitze Sylts. Wir verbrachten die Tage stets am Ellenbogen, einem Strandabschnitt, der so einsam und langweilig war, wie ein verwaister Strand eben sein kann. Zur Mittagszeit sagte mein Vater in dem für ihn typischen Tonfall: „komm, mein Junge“, und ich wusste sofort, was er meinte. Wir sind dann in den Lister Hafen gefahren und haben die Krabbenkutter in Empfang genommen, die immer um diese Zeit in den Hafen zurückkehrten. Dann kaufte mein Vater einen Beutel frisch gebrühter Krabben, die wir beinebaumelnd an der Hafenkante pulten. Dieser süßliche, leicht fischige Geschmack hat sich bis heute tief in mein kulinarisches Geschmacksgedächtnis gebrannt.
Ab und zu, wenn der mittägliche Kohldampf allzu groß war, gingen wir an die dort ansässige Fischbude und und wir teilten uns ein Krabbenbrot mit Spiegelei…eine kulinarische Offenbarung. Die Fischbude, an der ein großes Schild mit den Worten „Aale, Aale“ prangte, wurde übrigens betrieben von einem freundlichen Mann mit Vollbart und Kapitänsmütze. Kaum zu glauben, dass es sich bei diesem Mann um den zukünftigen erfolgreichsten Unternehmer der Sylter Geschichte gehandelt hat: Jürgen Gosch.
Seit einigen Jahren fahre ich wieder regelmäßig einmal im Sommer nach Sylt. Und meine Leibspeise hat sich auch nach über 40 Jahren nicht verändert: Krabbenbrot mit Spiegelei. Es heißt heute nur ‚Liebesteller‘, ist aber genauso verführerisch lecker wie damals.
Am 17. Februar 2016 ist mein Vater nach 4 Wochen aus dem künstlichen Koma erwacht. Ich habe morgens routinemäßig auf der Intensivstation angerufen, um mich nach seinem Gesundheitszustand zu erkundigen. Der Pfleger hat den Telefonhörer an das Ohr meines Vaters gehalten. Als dieser meine Stimme hörte, sagte er mit brüchiger Stimme: „Oh, mein Junge!“ Es war das schönste Geburtstagsgeschenk meines Lebens!
Das ist für dich, Papa…Du bist mein Held!